Aufatmen bei Stadt, Land und Region nach S-21-Urteil

Auf die S-21-Projektpartner kommen zunächst keine Mehrkosten zu. Man rüstet sich aber für eine lange Auseinandersetzung.

Von Christian Milankovic

Stuttgart - Am Ende hat Wolfgang Kern die Lacher einmal mehr auf seiner Seite. „Ich sage jetzt nicht, das sind unsere Erwägungen in aller Kürze.“ Zuvor hatte der Vorsitzende Richter der 13. Kammer des Verwaltungsgerichts Stuttgart rund 40 Minuten lang begründet, warum es die Klagen der Deutschen Bahn gegen die Stuttgart-21-Partner auf eine Mitfinanzierung der Mehrkosten  in Milliardenhöhe abgewiesen hat (AZ: 13 K 9542/16).

Kerns Vortrag wurde der Dimension des Verfahrens gerecht: Mehr als 8000 Seiten umfasst die Gerichtsakte. Dieser Umfang erklärt sich wiederum aus den im Raum stehenden Summen: Die Bahn wollte den beklagten Projektpartnern Land, Region, Stadt und Flughafen gerichtlich eine Vertragsänderung aufbürden lassen. Sie sollten sich an den Mehrkosten von Stuttgart 21 beteiligen, die über die im Finanzierungsvertrag von 2009 festgeschriebenen 4,5 Milliarden Euro hinausgehen: Stand jetzt fehlen sieben Milliarden Euro, denn laut Bahn soll das Projekt am Ende 11,453 Milliarden Euro kosten – wenn sich die aktuelle Prognose als belastbar erweisen sollte.

Doch daraus wird vorerst nichts. Das Gericht hat nach vier Verhandlungstagen die 2016 eingereichten Klagen der Bahn abgewiesen. Vor allem dem Wesen der sogenannten Sprechklausel widmete die Kammer viel Beachtung. Dieser Passus im Finanzierungsvertrag sieht vor, dass die Bahn und das Land im Falle von Mehrkosten Gespräche aufnehmen. „Aus dem Sinn und Zweck der Sprechklausel beziehungsweise des Finanzierungsvertrages ergibt sich keine Verpflichtung der Beklagten zu einer weiteren finanziellen Beteiligung“, heißt es in den Erwägungen der Kammer. Man sei „nicht zu der Überzeugung gelangt, dass die Vertragsparteien mit dem Finanzierungsvertrag eine gemeinsame Finanzierungsverantwortung für das Projekt Stuttgart 21 mit der Folge vereinbaren wollten, dass sich alle Vertragsparteien über die festgelegten Finanzierungsbeiträge hinaus an allen weiteren Mehrkosten zu beteiligen haben“.

Genau diese gemeinsame Finanzierungsverantwortung sieht die Bahn aber nach den Worten ihres Konzernsprechers Achim Stauß weiterhin. Man warte das schriftliche Urteil ab und entscheide dann über das weitere Vorgehen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Das Verwaltungsgericht hat die Berufung nicht zugelassen. Allerdings kann die Bahn einen Antrag auf Zulassung zum Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg stellen.

Trotz der Aussicht auf einen noch langen Verfahrensweg bis zur endgültigen Klärung überwiegt bei den Beklagten die Erleichterung über das Urteil. „Heute wurde gerichtlich bestätigt, was wir seit Jahren sagen: Die Bahn ist als Projektträgerin für die Mehrkosten des Projekts Stuttgart 21 alleine verantwortlich. Die Sprechklausel ist keine Zahlungsklausel“, sagte Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne).

Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) verwies auf die zunächst im Raum stehende finanzielle Belastung für die Landeshauptstadt. „Das Urteil des Verwaltungsgerichts erfüllt uns mit Erleichterung und Zufriedenheit. Wir waren von unserer Rechtsauffassung überzeugt, dennoch ist uns ein 1,3-Milliarden-Stein vom Herzen gefallen.“ Nopper sieht das Verhältnis zur Bahn durch die gerichtliche Auseinandersetzung nicht getrübt. „Beim Projekt bleiben wir der Deutschen Bahn als konstruktiver Projektpartner verbunden.“

„Die Region war von Anfang an mit einem Festbetrag ausschließlich an den Grundkosten von Stuttgart 21 beteiligt, der so mit den politischen Gremien abgestimmt und vertraglich festgeschrieben wurde“, sagte Regionaldirektor Alexander Lahl. Man sehe sich „durch das Urteil bestätigt, dass der Verband Region Stuttgart nicht verpflichtet ist, weitere Beiträge für S 21 leisten zu müssen“.

Flughafen-Chef Carsten Poralla begrüßte das Urteil. Der Flughafen habe sich mit der für ihn großen Summe von 359 Millionen Euro am Projekt beteiligt und bereits im Jahr 2018 die letzte Tranche überwiesen. „Wir hoffen nun auf eine pünktliche Fertigstellung des Flughafenbahnhofs Ende 2026.“

Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 nimmt das Urteil zum Anlass, abermals einen Baustopp zu fordern. Ein solches Innehalten sei heilsam, „weil in einer Bestandsaufnahme geprüft werden könnte, ob dieses Projekt überhaupt noch zu einem guten Ende führen kann“. Bündnissprecher Dieter Reicherter, selbst pensionierter Richter, warnt vor einer ausufernden rechtlichen Auseinandersetzung. „Es darf jetzt keinen monströsen Rechtsstreit geben, der über alle Instanzen und viele Jahre fortgesetzt wird und in dem hochbezahlte Juristen Millionenkosten bei allen Beteiligten verursachen, die dann am Ende bei den Steuerzahlenden oder den Bahn-Kunden landen.“

Bei der Stadt jedenfalls stellt man sich auf weitere Runden vor Gericht ein. „Wir haben heute eine Berg-Etappe gewonnen, aber noch lange nicht die Tour de France“, sagte Rechtsanwalt Winfried Porsch, der die Stadt in dem aktuellen Verfahren vertrat.

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Erstellt:
7. Mai 2024, 22:06 Uhr
Aktualisiert:
8. Mai 2024, 21:59 Uhr

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