Ein Boulevard für die Stadt

Mit einer 80 Meter breiten Freitreppe öffnet sich das Stadtpalais aufs Schönste in Richtung Stadt. Ein Spaziergang mit den LRO Architekten vor der Eröffnung.

Modellfoto und Visualisierung zeigen das Stadtmuseum am Charlottenplatz mit Freitreppe.Visualisierung der von LRO Architekten geplanten Freitreppe vor dem Stuttgarter Stadtpalais.

© LRO /Stuttgart

Modellfoto und Visualisierung zeigen das Stadtmuseum am Charlottenplatz mit Freitreppe.Visualisierung der von LRO Architekten geplanten Freitreppe vor dem Stuttgarter Stadtpalais.

Von Nicole Golombek

Stuttgart - „Frag doch mal, warum der Platz versiegelt ist, das passt doch nicht so recht zu den Zielen, die Stadt grüner werden zu lassen, oder?“, gibt ein in Sachen Stadtplanung äußerst versierter Kollege mit auf den Weg zum Treffen mit Marc Oei und Klaus Hildenbrand, Architekten und Gesellschafter von LRO Architekten in Stuttgart. Sie präsentieren schon wenige Tage vor der Eröffnung am 8. Mai den nach zwei Jahren Bauzeit fertig gewordenen von LRO geplanten Platz vor dem Stadtpalais Museum für Stuttgart – das vom selben Architekturbüro hervorragend saniert wurde. Zu bestaunen ist eine 80 Meter breite Freitreppe und die neue Wegführung bis zur Landesbibliothek. „Die Treppen und der Platz“, sagt Marc Oei, „werden den nun wieder zugänglichen Haupteingang inszenieren und in den Stadtraum einbinden.“

Das Treffen findet direkt am Charlottenplatz statt an einer der Megakreuzungen Stuttgarts und das oberhalb des technischen Herzens der Stadt. Sichtbares Zeichen dafür ist der neue, rund zehn Meter hohe Turm aus weißem Recyclingbeton neben dem Stadtpalais. Der Turm bietet nicht nur Platz als Werbefläche fürs Museum und fungiert nicht nur als Unterstand für Fahrgäste an der Bushaltestelle. Er dient vor allem auch als Lüftungsschacht für die Luftkühlung des Trafos der Stadtbahn im Technikgeschoss der Haltestelle Charlottenplatz. „Die vorherige Lüftungsöffnung war nicht havariesicher und direkt an der viel befahrenen Kreuzung eine potenzielle Gefahrenquelle“, sagt Klaus Hildenbrand. Die Luftschächte und Kanäle für allerlei Medien hatten zuvor in und unter der nun abgebrochenen Rampe und der Stützmauer Platz gefunden. Die sichtbaren Oberflächen der neuen 60 Meter langen Stützmauer sind korrespondierend zur Landesbibliothek nebenan in einer Bretterschalung ausgeführt und werden medial bespielt.

Die rund acht Millionen Baukosten sind zum Teil nicht zu sehen – der Pumpenraum und Notfallentwässerung wurden umgebaut sowie viele Leitungen des öffentlichen Netzes von Gas über Wasser und Strom bis Telekommunikation verlegt, damit genug Platz für den Boulevard und die neuen Stadtbäume geschaffen werden konnte.

Zurück zum gepflasterten Platz: „Der Vorplatz“, sagt Hildenbrand „ist eine offene, freie Fläche, die dem Museum für zahlreiche Veranstaltungen dienen wird. Der Pflasterbelag ist selbstverständlich sickerfähig. Die kleinteilige Pflasterung kann durch ihren hohen Fugenanteil große Mengen Wassers aufnehmen“, erklärt Klaus Hildenbrand.

Und Marc Oei stellt eine Gegenfrage: seit wann die Reporterin in Stuttgart lebe. Schon immer. „Also ist der Begriff der Kulturmeile bekannt“, konstatiert der Architekt zufrieden. Manche wünschen sich den Begriff Meile sogar zum Kulturquartier ausgeweitet und denken dabei auch das jüngst von Blocher Partners sanierte Kunstgebäude mit. Meile oder Quartier – das ist nun eindrucksvoll sichtbar: die Konrad-Adenauer-Straße ist nicht nur ein Auto-Hotspot, der nach dem Willen vieler rückgebaut gehört. Entlang der Straße bis zur Postmoderne-Ikone Staatsgalerie finden sich jede Menge architektonisch bedeutende Gebäude. Dank der Umgestaltung des Vorplatzes entsteht nun ein traumhafter Boulevard für all diese Architekturjuwele und alle Flaneure, die sie betrachten möchten – samt Platanenallee.

Denkt man in die nahe Zukunft, könnte sich die Allee über die Kreuzung hinweg verlängern bis zu weiteren architektonischen Wahrzeichen der Stadt, dem Gustav-Siegle-Haus von Theodor Fischer etwa und gerade Entstehendem: Derzeit wird das Breuninger-Parkhaus von den Stuttgarter Architekten haascockzemmrich STUDIO 2025 in einen „Mobility-Hub“ verwandelt. Unter anderem finden sich da dann viele Fahrradstellplätze und eine Fahrradreparatur. Nebenan soll das Haus für Film und Medien entstehen.

Radfahrer brauchen aber nicht nur Reparaturstellen, sondern Wege zum Fahren. Dass die wegen der Baustelle einspurig befahrbare B 14 so bleiben möge „und die verbleibende Spur eine Fahrradspur sein könnte“, überlegt Marc Oei, der von fahrradfreundlichen Städten wie Antwerpen schwärmt, „wäre eine super Sache“. Hildenbrand: „ Wir haben die große Hoffnung, dass das Ergebnis des jüngsten städtebaulichen Wettbewerbs baldmöglichst umgesetzt wird und zur Planie hin anstelle der mehrspurigen Verkehrsflächen veritable und zusammenhängende Stadträume entstehen.“

Wie bekannt wurde, wird daraus so schnell nichts. Doch die Architektur wäre schon mal so weit: Neben den acht neuen Platanen ist die Hauptveränderung die Öffnung hinunter zur Kulturmeile. Noch haben viele Gebäude entlang dieser Meile ihre Eingänge eher zur Seite, nach hinten oder am sogenannten Oberen Ufer, das über Treppen – früher auch Brücken – erreichbar ist.

Das ändert sich nun. Der Erweiterungsneubau der Landesbibliothek ist direkt an der Straße gelegen, und das Café mit Außenbestuhlung ist sehr gut besucht. Der Staatsgalerie und dem Haus der Geschichte kann man sich ebenfalls direkt von der Straße aus nähern. Und nun ist eben auch das Stadtpalais vom unteren Ufer aus direkt zu betreten – dank der keilförmig sich verbreiterenden Treppe. Der umgestaltete Platz wirkt so natürlich und folgerichtig, dass es schwerfällt, sich an die alte Umgebung zu erinnern. Die Architekten haben mit dem Vorfeld eine einladende Geste für die Stadtgesellschaft inszeniert. Die wird sich nicht lange bitten lassen, den Stadtraum zu erobern.

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Erstellt:
6. Mai 2024, 22:08 Uhr
Aktualisiert:
7. Mai 2024, 21:53 Uhr

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