Ein Einbruch mit Sprengkraft

Alten Kriminalfällen auf der Spur: Das Mobile Einsatzkommando der Polizei jagt in Stuttgart zwei Männer und gerät dabei selbst unter Beschuss. Die beiden Täter haben 1975 in einem Schotterwerk in Backnang-Maubach 150 Kilogramm Sprengstoff gestohlen.

Foto aus der Backnanger Kreiszeitung vom 27. Februar 1975.

Foto aus der Backnanger Kreiszeitung vom 27. Februar 1975.

Von Hans-Christoph Werner

BACKNANG. Es ist das Jahr 1975. Zwei Jahre ist es her, als ein 24 Jahre alter Mann in dem Maubacher Schotterwerk der damaligen Firma Ernst Egelhof einen Monat lang gearbeitet hat. Von daher weiß er, dass in dem Werk auch Sprengstoff zum Einsatz kommt. Weil er und sein Kumpel eine Aufbesserung ihrer finanziellen Möglichkeiten vertragen könnten, kommen sie auf eine Idee.

In einer Februarnacht wollen die beiden ihre Idee umsetzen. Das Donarit – dabei handelt es sich um einen gelatinösen Sprengstoff – wird im Munitionsbunker des Schotterwerks verwahrt. Also gilt es, in diesen irgendwie hineinzugelangen. So steigen der 24-jährige Wachmann Peter S. und der 25-jährige Monteur Fritz T. (beide Namen geändert) zunächst in den Aufenthaltsraum des Betriebsgebäudes ein. Sie durchsuchen diesen nach den passenden Schlüsseln, werden aber nicht fündig. So muss man mit Gewalt zur Sache gehen. Die Tür zum Waagraum wird aufgebrochen. Von dort aus geht es durch die nächste Tür ins Ersatzteillager.

In diesem Lager finden die beiden Einbrecher zumindest passendes Werkzeug für ihr weiteres Vorgehen. Die nächste Tür ist die Tür zur Werkstatt. Von dort transportieren sie eine Sauerstoff-, eine Gasflasche und die dazugehörigen Schweißarmaturen zu dem 100 Meter entfernten Munitionsbunker. Die Gerätschaften kommen an den zwei hintereinanderliegenden Türen des Bunkers zum Einsatz. Als sich die beiden Einbrecher an der dritten Tür zu schaffen machen, ist die Sauerstoffflasche leer. So muss die Tür wieder mit Muskelkraft aufgehebelt werden. Endlich sind die beiden am Objekt ihrer Begierde, dem Donarit. Mit einem Fahrzeug transportieren sie insgesamt 150 Kilogramm ab.

Diebesduo will Sprengstoff zu Geld machen und gerät an einen V-Mann der Polizei.

Nicht irgendwelche Sprengungen haben die beiden Herren im Sinn. Vielmehr möchten sie ihre Beute so schnell wie möglich zu Geld machen. Auf welche Weise die beiden Sprengstoffbesitzer ihre Ware anbieten (schließlich gab es noch kein Internet), geben die Gerichtsakten leider nicht her. Schon gleich am nächsten Tag sind sie mit einem Interessenten in Kontakt. Im Schutz der Dunkelheit soll der Verkauf im Sillenbucher Wald abgewickelt werden. Was die Täter freilich nicht wissen, ist, dass dieser Interessent ein V-Mann der Polizei ist. 100 Kilogramm Donarit sollen für 1000 Mark an den neuen Besitzer gehen.

Gegen 22 Uhr erhält der Interessent eine Probe, denn schließlich will dieser nicht die Katze im Sack kaufen. Die Probe ist gut und sofort steigt der Preis. Nun wollen die beiden Diebesgesellen 1500 Mark haben. Peter S. will den Verkauf abwickeln, während Fritz T. im Auto wartet. Ungewöhnlich lange dauert die Verkaufsaktion, sodass Fritz T. Verdacht schöpft. Er verlässt den Wagen und warnt seinen Kollegen vor einer „linken Tour“ des Käufers. Er hält diesen offenbar für einen Ganoven. Dabei greift er zu der im Hosenbund verborgenen Pistole. Jetzt ist es für den V-Mann höchste Zeit, die Sache zu Ende zu bringen. Dieser ruft „Polizei! Stehen bleiben! Hände hoch!“ Dabei vertraut er darauf, dass seine Polizeikollegen in allernächster Nähe in Stellung gegangen sind.

Peter S. lässt sich sofort festnehmen, während Fritz T. in den Wald türmt. Zwei Beamte verfolgen ihn. Es kommt zu einer wilden nächtlichen Schießerei, bei der beide Seiten ihr Ziel verfehlen. In der Anklageschrift heißt es später: „Der Angeschuldigte ist wegen zweier Verbrechen des versuchten Totschlags zur Verantwortung zu ziehen. Er hat die Zeugen (es folgen die Namen der Polizisten) viermal mit seinem Revolver beschossen in Kenntnis der naheliegenden Möglichkeit, den Verfolger hierbei tödlich zu treffen. Zumindest diese Möglichkeit hat er bei seinem Vorgehen bewusst hingenommen (...). Er hat deshalb mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt.“ Fritz T. kann schließlich sein Auto erreichen, kehrt nochmals kurz ein und fährt dann nach Hause. Als er in seiner Stuttgarter Wohnung ankommt, ist die Polizei auch schon da, hat die Wohnung umstellt, und es klicken die Handschellen.

Als gegen Ende des Jahres 1975 die Verhandlung gegen die beiden Einbrecher in Gang kommt, stellt sich insbesondere für den Angeklagten Peter S. heraus, dass ihm noch zehn weitere Vergehen des Diebstahls zur Last gelegt werden können. Die Polizei hatte im Zuge ihrer Ermittlungen die Wohnung des Angeklagten durchsucht. Dabei fiel den Beamten das Tagebuch der Ehefrau in die Hände. In diesem hatte sie die gemeinsam begangenen Einbrüche akribisch festgehalten. Fast alles, was es greifen konnte, machte das Ehepaar S. zu Geld: Elektrogeräte, Autoradios, Konservendosen und vor allem Zigaretten. Peter S. hatte sich auf das sogenannte Zigarettenstechen, das heißt das Ausräumen ganzer Automatenschächte, spezialisiert.

Die beiden Ganoven müssen für drei beziehungsweise für sechs Jahre hinter Gitter.

Wie sich der Strafprozess gegen die beiden Einbrecher gestaltete, geben die zugänglichen Archivakten leider nicht her. In diesen ist nur die Anklageschrift enthalten. Bekannt ist, dass Fritz T. am 15. Dezember 1975 zu drei Jahren Gefängnis wegen Diebstahls mit Waffen und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt wurde. Peter S. erhielt die doppelte Anzahl an Gefängnisjahren, weil bei ihm noch die anderen Straftaten zu Buche schlugen. Über die Verbüßung der Strafe sowie darüber, was aus den beiden Einbrechern geworden ist, geben die Archivakten leider nichts her.

Beide Täter weisen einen ganz ähnlichen Werdegang vor der hier berichteten Straftat auf. Wegen Erziehungsproblemen kommt Fritz T. als Zwölfjähriger ins Heim. Einen Beruf erlernt er nicht. Die Arbeitsverhältnisse, die der junge Mann eingeht, sind jeweils nur von kurzer Dauer. Der in Frankreich geborene und nach Deutschland übersiedelte Peter S. hält es in seinem Elternhaus nicht aus. Mehrmals tritt er die Flucht an, wird aber immer wieder zurückgebracht. Der Vater rät ihm von einer Lehre ab, da würde man zu wenig verdienen. Auch Peter S. hält es stets nur kurz in einem Arbeitsverhältnis aus. Vor dem Einbruch im Schotterwerk hatte er mit seiner Frau in Stuttgart gelebt. Die beiden hatten sich ihren Lebensunterhalt durch Einbrüche verdient.

Das Schotterwerk „Egelhof“ am Ortsausgang Maubach Richtung Erbstetten existiert nicht mehr. Das Gelände wurde aufgefüllt und ist heute Übungsplatz des Hundesportvereins.

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Erstellt:
15. August 2020, 06:00 Uhr

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