Europäische Union

Ein EU-Gipfel der vielen Worte

Der Ukraine wird von den Staats- und Regierungschefs wieder einmal Hilfe versprochen, ohne wirklich konkret zu werden. Gleiches gilt für die dringende Reform des europäischen Binnenmarktes.

Der polnische Premier Tusk fordert seine EU-Kollegen auf, weniger zu reden und stattdessen mehr für die Ukraine zu tun.

© dpa/Christoph Soeder

Der polnische Premier Tusk fordert seine EU-Kollegen auf, weniger zu reden und stattdessen mehr für die Ukraine zu tun.

Von Knut Krohn

Am Ende platzt Donald Tusk der Kragen. „Wenn all die Worte, die in den letzten Jahren hier in Brüssel über gemeinsame Verteidigung gefallen sind, in Kugeln und Raketenwerfer umgewandelt werden könnten, wäre Europa die stärkste Macht der Welt“, schrieb der polnische Premier am Donnerstag auf der Plattform X. Er war es offensichtlich leid, dass bei dem Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel außer vielen wohlwollenden Solidaritätsbekundungen wenig Konkretes zur Unterstützung der angegriffenen Ukraine beschlossen wurde.

Nicht erhörtes Flehen aus der Ukraine

Angesichts der massiven russischen Angriffe und der vielen zivilen Opfer hat Kiew in den vergangenen Wochen fast flehentlich deutlich gemacht, dass der Krieg in der Ukraine in eine entscheidende Phase gegangen sei. Die Staats- und Regierungschefs hatten folglich sehr viel Zeit sich über weitere Waffenlieferungen zu verständigen. Stattdessen erklärte EU-Ratspräsident Charles Michel wachsweich, er erwartet bald Entscheidungen für mehr Luftverteidigungssysteme. „Das ist keine Frage von Monaten. Es ist eine Frage von Tagen und Wochen“, sagte der Belgier in Brüssel, was in den Ohren der Ukrainer angesichts des täglichen Sterbens im eigenen Land wie Hohn klingen muss.

Nicht zum ersten Mal scheitert die EU an den eigenen Ambitionen. Kurz nach dem Überfall Russlands versprach der Westen der Ukraine die Lieferung von einer Million Schuss Artilleriemunition und versagte kläglich. Am Ende stand gerade einmal ein Drittel der Menge zur Verfügung.

Es droht die Wiederwahl Donald Trumps

Wesentlich problematischer könnte allerdings das offensichtliche Zaudern Brüssels angesichts der drohenden Wiederwahl Donald Trumps als US-Präsident sein. Seit Monaten wird darüber diskutiert, dass sich die Union darauf vorbereiten müsse, der Ukraine in diesem Fall auch alleine beistehen zu können. Konkret geschehen ist allerdings wenig.

Eine ähnliche Bewegungslosigkeit zeichnete sich auch beim zweiten großen Thema des EU-Gipfels ab. Um mit den USA und China wirtschaftlich mithalten zu können, will die EU die Größe ihres Binnenmarktes besser nutzen. Diskussionsgrundlage dafür war der Bericht des italienischen Ex-Premiers Enrico Letta. Doch das rund 150 Seite starke Werk liest sich wie ein typisches EU-Papier. Vieles ist so allgemein gehalten, dass darüber überhaupt nicht diskutiert werden muss.

Schwierige Reform des Finanzmarktes

Und die wenigen Punkte, an denen der Letta in seinem Bericht konkreter formuliert, stießen sofort auf harsche Kritik der davon betroffenen EU-Mitgliedstaaten. So sind selbst die eher vagen Vorschläge für eine Vereinheitlichung des Finanzmarktes für eine Reihe kleinerer Mitgliedstaaten ein rotes Tuch. Estlands Regierungschefin Kaja Kallas und ihr irischer Amtskollege Simon Harris etwa sprachen sich gegen eine Anpassung der Steuersysteme aus. „Als kleines Land haben wir nicht viele Wettbewerbsvorteile“, erklärte Kallas. Dazu gehöre ein „sehr kompetitives Steuersystem“, das die EU Estland nicht „wegnehmen“ dürfe.

Umstritten ist auch eine Zentralisierung der Überwachung der Finanzmärkte bei der europäischen Aufsichtsbehörde ESMA mit Sitz in Paris, wie sie Frankreich vorschlägt. Staaten wie Luxemburg sind dagegen: „Wir müssen vermeiden, dass wir alles überbürokratisieren, überregulieren und auch überzentralisieren“, sagte Luxemburgs Regierungschef Luc Frieden. „Nicht alles, was im Vorschlag der Schlussfolgerung steht, findet unsere Zustimmung.“ So macht sich die Union wieder auf die Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Das erklärte Ziel, den europäischen Binnenmarkt gegenüber den schier übermächtigen Konkurrenten USA und China zügig fit für die Herausforderungen der Zukunft zu machen, scheint also bereits vor dem Startschuss ein aussichtsloses Rennen.

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Erstellt:
18. April 2024, 17:20 Uhr

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