Überfall auf SPD-Politiker

Eine Gefahr für die Demokratie

Der brutale Überfall auf einen SPD-Politiker ist das Ergebnis einer gefährlichen Entwicklung. Wenn die Gesellschaft nicht gegensteuert, ist die Demokratie in Gefahr, kommentiert unser Brüssel-Korrespondent Knut Krohn.

Der SPD-Politiker Matthias Ecke  wurde beim Kleben von Wahlplakaten brutal niedergeschlagen.

© dpa/Heiko Rebsch

Der SPD-Politiker Matthias Ecke wurde beim Kleben von Wahlplakaten brutal niedergeschlagen.

Von Knut Krohn

Die Betroffenheit groß. Nach dem brutalen Überfall auf Matthias Ecke, dem sächsischen SPD-Spitzenkandidaten für die Europawahl, melden sich Politiker aller Parteien mit Solidaritätsadressen zu Wort. Das ist richtig und wichtig, doch Betroffenheit alleine reicht nicht. Dasselbe gilt für die Forderungen, dass Polizei und Justiz in Zukunft schärfer durchgreifen sollen. Das alles mag den ersten Schock lindern und womöglich auch das eine oder andere schlechte Gewissen beruhigen. Lösungen sind es nicht.

Das Problem ist, dass der Angriff auf den Sozialdemokraten Matthias Ecke längst kein Einzelfall mehr ist. In diesen Tagen wurden auch mehrere Vertreter von den Grünen attackiert, die Vorfälle körperlicher Gewalt häufen sich bedrohlich. Und es trifft nicht nur Politiker, sondern auch normale engagierte Bürger und Journalisten. Überhand nimmt auch der ganz alltägliche Vandalismus durch das Abreißen von Wahlplakaten oder das Beschmieren von Wahlkreisbüros.

Selbst die Privatsphäre ist nicht mehr heilig

Alarmierend ist, dass die Angreifer inzwischen auch vor der Privatsphäre der Politiker nicht mehr Halt machen. Einschüchternde Aufmärsche eines aufgebrachten Mobs vor den Wohnhäusern von Politikern sind keine wirkliche Seltenheit mehr. Verstörend ist, dass etwa an der Blockade der Urlaubsfähre von Wirtschaftsminister Robert Habeck Leute beteiligt waren, die jeder als unbescholten bezeichnen würde. Die bittere Erkenntnis ist, dass die Akzeptanz von Gewalt gegen Repräsentanten des Staates längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.

Natürlich kann das alles irgendwie erklärt werden. Die Welt scheint sich immer schneller zu drehen, Krise reiht sich an Krise, das Leben wird unübersichtlicher, die Existenzangst der Menschen nimmt zu und gleichzeitig schwindet die Bindungskraft tradierter Milieus.

Verrohung der Sitten durch soziale Medien

Beschleunigt wird diese Verrohung der Sitten durch die sozialen Medien. Das ist längst eine Binsenweisheit und jeder lamentiert darüber. Aber selbst der Ton zwischen den Vertretern der etablierten, demokratischen Parteien hat inzwischen ein Niveau und eine einen Grad der Aggression erreicht, die bisweilen jeglicher Beschreibung spotten. Tugenden wie Aufrichtigkeit, Anstand und Respekt scheinen aus der Mode gekommen.

Verschärft wird das Problem dadurch, dass die schrillen, effektheischenden Töne des Internets längst nicht nur die Talkshows, sondern auch die Wahlkampfreden erreicht haben – und das nicht nur bei den Vertretern der extremen Parteien. Natürlich wird diese Beschreibung jeder seriöse Politiker für sich selbst weit von sich weisen, denn schuld sind immer nur die anderen.

Der öffentliche Raum ist vergiftet

Eigentlich müssten nun alle Alarmglocken läuten, denn diese Entwicklung ist eine existenzielle Gefahr für die Demokratie. Der öffentliche Raum könnte derart vergiftet werden, dass keine Kompromisse mehr möglich scheinen. Es ist also allerhöchste Zeit, gegenzusteuern. Das aber ist ein schwieriges, weil vielschichtiges Unterfangen. Natürlich müssen Hassreden und körperliche Attacken strafrechtlich verfolgt werden. Doch damit ist es nicht getan.

Jene Wortführer, die die gesellschaftliche Debatte bestimmen, müssen die Konsequenz ihrer Worte reflektieren und beginnen, verbal abzurüsten. Geschieht das nicht, dann werden am Ende immer extremere Positionen den Diskurs dominieren. Wohin das führt, ist im Moment in erschreckender Klarheit an einigen Universitäten in den USA zu beobachten. Dort werden gerade die offene Rede und das freie Denken zu Grabe getragen – und damit auch die Demokratie.

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Erstellt:
4. Mai 2024, 21:52 Uhr

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