Eine Milliarde Euro für S-21-Aufsiedlung

Seit Jahren wartet die Stadt auf die Freigabe der alten Bahnflächen in der City für den Wohnungsbau. Werden sie nur in Erbpacht vergeben?

Im Anschluss an den S-21-Bahnhof soll an Stelle der alten Kopfbahnsteiggleise ein neues Wohnquartier entstehen. Im Anschluss an den S-21-Bahnhof soll an Stelle der alten Kopfbahnsteiggleise ein neues Wohnquartier entstehen.

© DB AG/Arnim Kilgus

Im Anschluss an den S-21-Bahnhof soll an Stelle der alten Kopfbahnsteiggleise ein neues Wohnquartier entstehen. Im Anschluss an den S-21-Bahnhof soll an Stelle der alten Kopfbahnsteiggleise ein neues Wohnquartier entstehen.

Von Konstantin Schwarz

Stuttgart - Bei der Wahl am 9. Juni geht es auch darum, welche Richtung die Landeshauptstadt beim Wohnungsbau einschlägt. In der Wahlperiode bis 2030 müssen Grundsatzentscheidungen zum Umgang mit den durch Stuttgart 21 frei werdenden Grundstücken fallen. Die Frage ist, ob und welchen Anteil Flächen die Stadt an Immobilienentwickler abgibt. An städtischen Investitionen hat Finanzbürgermeister Thomas Fuhrmann für die Bahnflächen eine Milliarde Euro genannt. Das sei der aus der Neckarpark-Aufsiedlung für S 21 hochhochgerechnete Aufwand für die öffentliche Infrastruktur – und die werde kaum ausreichen. In Etappen soll das Rosensteinquartier entstehen. Dazu gehört die Maker-City, die sich mit Wohnen und Arbeiten um die Wagenhallen gruppiert. Als frühen Baustein plant die Stadt direkt im Anschluss an den Tiefbahnhof das Europaquartier. 70 Prozent der zehn Hektar sollen dem Wohnungsbau gehören, mit bis zu 30 Meter hohen Punkthäusern.

Bei der Flächengewinnung und der Wohnbauförderung steht die Kommune vor gewaltigen Aufgaben. 200 Millionen Euro hat der Gemeinderat genehmigt, damit die stadteigene Baugesellschaft SWSG bis Ende 2025 rund 2400 neue Wohnungen bauen kann. Derartige Finanzspritzen waren vor wenigen Jahren unvorstellbar. Sie sind der Not geschuldet, explodierenden Baukosten und Zinssprünge der Europäischen Zentralbank haben die Branche abgewürgt, die Bauwirtschaft fürchtet vermehrt Insolvenzen.

Die Grüne Wiese, sagen die Grünen, bleibe in Stuttgart ein Tabu, es gelte weiterhin Innen- vor Außenentwicklung, Sanierung und Umbau vor Abriss und für städtische Grundstücke Erbbau vor Verkauf, der Schwerpunkt liege auf sozialem Mietwohnungsbau.

Auch die CDU will im Außenbereich kein neues Fass aufmachen, zumal mit dem Schafhaus (Mühlhausen, 450 Wohneinheiten), der Mittleren Wohlfahrt (100) und den Schwellenäckern (Heumaden) drei Gebiete der Umsetzung harren. Bei Stuttgart 21 müsse die Organisationsstruktur außerhalb städtischer Ämter zur raschen Grundstücksentwicklung geklärt werden, so die Christdemokraten. Sie wollen studentisches und Azubi-Wohnen in umgenutzten Bürohäusern in Gewerbegebieten ermöglichen – dazu braucht es Änderungen der Landesbauordnung.

Die SPD will das Stuttgarter Innenentwicklungsmodell (SIM) ausweiten, das bei neuen Bebauungsplänen Mindestquoten für den sozialen Wohnungsbau nennt. Gegen ein Defizit von 30 000 Wohnungen in Stuttgart wollen die Genossen auch auf dem „Entwicklungsmöglichkeiten auf dem Birkacher Feld“, denn die Potenziale der Innenentwicklung reichten gegen die Wohnungsnot nicht aus. Die 65 Hektar geistern seit Jahrzehnten durch manches Programm; OB Frank Nopper (CDU) hat vor Jahresfrist explizit erklärt, dass man dort keinen Wohnungsbau anstrebe. Die Freien Wähler fordern eine schnellere Umsetzung von Wohnbauprojekten. Die Stadt solle weiterhin Grundstücke an Bauträger veräußern. Die FDP fordert „mehr Mut zum Bauen in die Höhe“ und will Randbereiche „verträglich arrondieren“. Die AfD stellt als freiwillige Leistung ein neues kommunales Wohngeld zur Debatte, fordert bei Sozialwohnungen die Fehlbelegungsabgabe und die Vergabe solcher Wohnungen bevorzugt an deutsche Staatsbürger.

Die Linke sieht in mehr kommunalen Wohnungen das effektivste Mittel gegen hohe Mieten und lehnt Mieterhöhungen der SWSG generell ab. Leerstehende Büros müssten zu Wohnungen umgebaut werden. Stuttgart Ökologisch Sozial (SÖS) will neues Baurecht nur noch auf städtischen Flächen geben und diese nur noch für gemeinnützige Projekte abgeben. Mit Satzungen sollen Mieterhöhungen geregelt werden, Zweckentfremdung von Wohnraum müsse verfolgt werden, das S-21-Gelände dürfe aus Klimaschutzgründen nicht bebaut werden. Die Stadt müsse die soziale Durchmischung sichern, fordern die Stadtisten. Auch sie wollen SIM ändern, der Anteil geförderter Wohnungen müsse verdoppelt, Boden dürfe nur noch in Erbpacht vergeben werden. Gegen steigende Mietpreise helfe nur gemeinwohlorientiertes Wohnen.

Die Klimaliste ruft die Bauwende aus, will Materialien konsequent wiederverwerten, Bestandserhalt vor Neubau stellen und setzt auf Vorkaufsrechte der Stadt und Erbpacht. Auch Volt spricht von Erbpacht. Auch die ÖDP will den sozialen Wohnungsbau stärken und Leerstand bekämpfen.

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Erstellt:
3. Mai 2024, 22:06 Uhr
Aktualisiert:
4. Mai 2024, 21:56 Uhr

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