Herumdoktern an Symptomen

Hausärzte könnten das Gesundheitssystem effizienter machen. Sie brauchen aber auch die Mittel dazu.

Von Werner Ludwig

Berlin - Wer vor Kurzem umgezogen ist und einen Hausarzt in erreichbarer Entfernung sucht, braucht in manchen Regionen viel Geduld. Ähnlich kann es laufen, wenn die bisherige Praxis schließt, weil sich kein Nachfolger findet. Schon jetzt können Tausende Hausarztsitze nicht besetzt werden, und die Altersstruktur der Allgemeinmediziner lässt eine weitere Verschlechterung erwarten. Vor diesem Hintergrund schlägt Ärztepräsident Klaus Reinhardt vor, Ärzten im Rentenalter Steuererleichterungen zu gewähren, um sie zumindest in Teilzeit wieder für die Versorgung von Patienten zu gewinnen.

Dieser Vorschlag ist zum einen aus Gründen der Steuersystematik fragwürdig. Wieso sollte die Politik nur den Medizinsektor auf diese Art steuerlich entlasten? Schließlich fehlt es auch in vielen anderen Bereichen an Fachkräften. Vor allem aber würde mit einem Steuerrabatt für Hausärzte im Ruhestand lediglich an Symptomen herumgedoktert. Das mag dem Patienten Gesundheitssystem vielleicht kurzfristig Linderung verschaffen. Doch was das System wirklich braucht, sind strukturelle Reformen, die über die bisherige Flickschusterei hinausgehen. Schließlich hakt es auch an vielen anderen Stellen – etwa bei den Kliniken oder in der Pflege.

Ein zentraler Punkt ist nach Ansicht praktisch aller Gesundheitsökonomen die im internationalen Vergleich unzureichende Patientensteuerung in Deutschland. Zwar ist die freie Arztwahl, die es so in kaum einem anderen Industrieland gibt, aus Patientensicht ein hohes Gut. Sie führt aber teilweise zu überflüssigen Facharztbesuchen und bindet Kapazitäten zulasten derer, die wirklich einen Spezialisten benötigen und oft viel zu lange auf einen Termin warten müssen.

Hausärzte sind in vielerlei Hinsicht prädestiniert, die Rolle des Lotsen zu übernehmen, der die Patienten durch das komplizierte Gesundheitssystem führt. In den Sonntagsreden von Politikern und Ärztefunktionären taucht dieser Textbaustein denn auch schon seit vielen Jahren zuverlässig auf.

Die Praxis sieht meist anders aus. Einige Krankenkassen bieten zwar Hausarztmodelle an, in denen die Hausarztpraxis in der Regel als erste Anlaufstelle dient, von der aus Patienten bei Bedarf zu Fachärzten oder in ein Krankenhaus überwiesen werden. Eine bessere Lenkung der Patienten ließe sich vermutlich erreichen, wenn das Hausarztmodell als verbindlicher Standard definiert würde. Das erforderte allerdings eine gehörige Portion politischen Mutes. Vor allem aber müssten Hausärzte auch in die Lage versetzt werden, diese Aufgabe zu bewältigen – nicht nur personell, sondern auch technisch und organisatorisch.

Eine schnellere Digitalisierung könnte den Verwaltungsaufwand für die Praxen verringern und die Vernetzung zwischen ambulantem und klinischem Sektor verbessern. Der Ausbau von Videosprechstunden könnte den Ansturm auf die Wartezimmer dämpfen. All das müsste pragmatisch und bitte ohne zusätzliche Bürokratie über die Bühne gehen. Schließlich könnten auch die Kassenärztlichen Vereinigungen mit einer anderen Verteilung der Mittel dazu beitragen, dass mehr Medizinstudenten Hausarzt werden wollen. Ein Blick auf die Ertragszahlen zeigt, dass die Tätigkeit als Facharzt in vielen Fällen wirtschaftlich attraktiver ist.

Nach mehr Geld rufen derzeit freilich alle im Gesundheitswesen. Richtig ist, dass der demografische Wandel und neue, teilweise sehr teure Therapien für weiter steigende Kosten sorgen werden. Um den Anstieg zumindest halbwegs in Zaum zu halten, müssen die verfügbaren Mittel so effizient wie möglich eingesetzt werden. Und dabei kommt den Hausärzten eine entscheidende Rolle zu. Steuerrabatte helfen da wenig.

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Erstellt:
7. Mai 2024, 22:06 Uhr
Aktualisiert:
8. Mai 2024, 21:59 Uhr

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