Einigung von KAV und Verdi

Keine weiteren Streiks im Nahverkehr

Der Tarifkonflikt des kommunalen Nahverkehrs Baden-Württemberg ist beigelegt. Die Gewerkschaft Verdi erreichte ein Paket im Gesamtwert von gut zwölf Prozent mehr Einkommen – und konnte sich an einer ganz zentralen Stelle durchsetzen.

Die Verdi-Mitglieder bei den kommunalen Nahverkehrsunternehmen – hier bei den SSB in Stuttgart – können die Fahnen einrollen. Der Tarifkonflikt ist beendet.

© dpa/Marijan Murat

Die Verdi-Mitglieder bei den kommunalen Nahverkehrsunternehmen – hier bei den SSB in Stuttgart – können die Fahnen einrollen. Der Tarifkonflikt ist beendet.

Von Matthias Schiermeyer

Die Nutzer öffentlicher Busse und Bahnen im Südwesten müssen vorerst keine weiteren Streiks befürchten. Der Kommunale Arbeitgeberverband Baden-Württemberg (KAV) und die Gewerkschaft Verdi haben in der Nacht zu Donnerstag ein Tarifergebnis erzielt. Davon betroffen sind sieben kommunale Nahverkehrsbetriebe wie die SSB in Stuttgart oder der SVE in Esslingen – zudem die Betriebe in Karlsruhe, Heilbronn, Freiburg, Baden-Baden und Konstanz.

Infolge des Kompromisses wird die Arbeitszeit für die 6500 Beschäftigten in drei Schritten von jeweils einer halben Stunde bis ins Jahr 2027 von 39 auf 37,5 Stunden pro Woche reduziert. Bei entsprechendem Lohnausgleich kann aber freiwillig bis 39 Stunden in der Woche gearbeitet werden.

Neu geschaffene Nahverkehrszulage von 150 Euro

Außerdem erhalten alle – eine Kernforderung der Gewerkschaft – von Juli an eine neu geschaffene Nahverkehrszulage von 150 Euro im Monat. Dazu kommen weitere Verbesserungen. Insgesamt, teilt Verdi mit, erhalte ein Beschäftigter im Fahrdienst rund 300 Euro mehr im Monat – inklusive der Absenkung der Wochenarbeitszeit entspreche dies einem Zuwachs von gut zwölf Prozent.

Die Tarifkommission hat schon einstimmig zugestimmt. Die Verdi-Mitglieder sollen nun in einer zweiten Urabstimmung über die Annahme entscheiden. Vorangegangen waren insgesamt fünf landesweite Streiktage und eine erste Urabstimmung mit einer Zustimmung von fast 93 Prozent für einen unbefristeten Arbeitskampf. Zuletzt hatte Verdi einen Zwei-Tages-Streik am Donnerstag und Freitag voriger Woche angezettelt.

„Blockade bei der Arbeitszeitverkürzung durchbrochen“

Die Arbeitgeber hatten es in den vorherigen Verhandlungen abgelehnt, über eine Arbeitszeitverkürzung zu reden und lediglich den Beschäftigten im Fahr- und Schichtdienst eine Nahverkehrszulage in Höhe von 250 Euro angeboten. „Mit dem Rückenwind von 4000 Streikenden haben wir die Blockade der Arbeitgeber bei der Arbeitszeitverkürzung durchbrochen“, betonte Verdi-Verhandlungsführer Jan Bleckert in einer ersten Reaktion. „Mit 37,5 Stunden in der Woche konnten wir eine neue Benchmark für den öffentlichen Dienst im Land durchsetzen.“ Die Tarifbeschäftigten des Landes zum Beispiel haben 39,5 Wochenstunden.

Die von den Arbeitgebern provozierte Spaltung der Belegschaften sei vom Tisch: Alle Beschäftigten der Nahverkehrsunternehmen erhielten die Arbeitszeitverkürzung und die neue Nahverkehrszulage. „Damit werden die Jobs im kommunalen Nahverkehr im Land deutlich attraktiver, die Beschäftigten erfahren eine Entlastung und der ÖPNV wird nachhaltig gestärkt.“

Bei Arbeitszeit „über den eigenen Schatten gesprungen“

Sylvana Donath, Hauptgeschäftsführerin des Kommunalen Arbeitgeberverbandes Baden-Württemberg (KAV), betonte, dass die Arbeitgeber mit diesem Kompromiss die Belastungsgrenze „maximal ausgereizt“ hätten. Bei der Arbeitszeitreduzierung sei man über den eigenen Schatten gesprungen – zugleich würde der KAV anerkennen, dass auch Verdi von Maximalforderungen Abstand genommen hätte.

Der KAV-Vorsitzende Wolf-Rüdiger Michel sprach von einem „sehr kostenintensiven Kompromiss“. Die Kommunen hätten jetzt schon Probleme mit der Finanzierung des ÖPNV – die Umsetzung der Verkehrswende werde eine „Herkulesaufgabe“. „Bleibt die Unterstützung des Bundes aus, kann auch eine Ausdünnung des ÖPNV nicht mehr ausgeschlossen werden“, mahnte er.

„Kreative Lösungen“ gegen weitere Arbeitsverdichtung

Die Arbeitszeitverkürzung auf 37,5 Stunden pro Woche erhöhe den Personalbedarf im ÖPNV weiter, ergänzte Donath. „Wir hoffen, dass wir mit dieser Entlastung der Beschäftigten die Attraktivität der Nahverkehrsbranche wirklich steigern.“ Angesichts des Fachkräftemangels bleibe es eine der zentralen Herausforderungen der nächsten Jahre, zusätzliches Personal zu gewinnen. Die Arbeitgeber müssten jetzt kreative Lösungen erarbeiten, um eine weitere Arbeitsverdichtung zu vermeiden.

Im Detail gibt es noch folgende Verbesserungen: Die Zeitzuschläge werden verbessert, das Urlaubsgeld wird für die meisten Beschäftigten um 90 Euro auf 540 Euro erhöht. Pro Schicht gibt es künftig pauschal fünf Euro, um mögliche Verspätungen auszugleichen. Ab der 16. Minute Verspätung wird minutengenau abgerechnet. Auch für geteilte Dienste gibt es eine höhere Zulage.

Der neue Manteltarifvertrag läuft bis Ende 2025, die Regelungen zur Arbeitszeit gelten bis Ende 2027. Eine neue Entgeltordnung wird bis Dezember 2025 vereinbart.

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Erstellt:
25. April 2024, 09:12 Uhr
Aktualisiert:
25. April 2024, 14:18 Uhr

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