KI bei Höfliger erkennt Fehler, bevor sie auftreten

Schlaue Systeme (5) Beim Maschinenbauer Harro Höfliger suchen die Entwickler nach Möglichkeiten, wie künstliche Intelligenz die Produktion beim Kunden effizienter machen kann. Zum Beispiel mit einer vorausschauenden Wartung, die teure Maschinenstillstände verhindern soll.

Im Reinraum von Harro Höfliger testen Falk Pfitzer (links) und Tobias Miunske eine Produktionsanlage. Aus Hunderten von Echtzeitdaten ermittelt eine App vier Leistungswerte, die als Prozentzahlen auf dem Display an der Maschine angezeigt werden. Fotos: Harro Höfliger

Im Reinraum von Harro Höfliger testen Falk Pfitzer (links) und Tobias Miunske eine Produktionsanlage. Aus Hunderten von Echtzeitdaten ermittelt eine App vier Leistungswerte, die als Prozentzahlen auf dem Display an der Maschine angezeigt werden. Fotos: Harro Höfliger

Von Kornelius Fritz

Allmersbach im Tal. Einem erfahrenen Maschinenführer, der schon seit Jahren dieselbe Anlage bedient, macht so schnell keiner was vor. Manche können nur durch Handauflegen anhand der Vibrationen erkennen, wenn etwas nicht rund läuft. So sind sie rechtzeitig gewarnt und wissen genau, wann es Zeit ist, die Maschine zu ölen oder ein Bauteil auszutauschen, um größere Reparaturen zu vermeiden. Aber was passiert, wenn so ein Mitarbeiter in Rente geht und ein Nachfolger übernimmt, der diese Erfahrung noch nicht hat? Oder wenn ein angelernter Kollege die Maschine bedienen muss, weil Fachkräfte fehlen?

Die Kunden, an die die Firma Harro Höfliger aus Allmersbach im Tal ihre Maschinen verkauft, stehen regelmäßig vor solchen Fragen. Die Antwort darauf könnte künstliche Intelligenz (KI) lauten. Wenn es gelingen würde, einer KI das Erfahrungswissen eines langjährigen Maschinenführers beizubringen, wäre die Qualifikation des Bedieners nicht mehr so entscheidend.

Ein 20-köpfiges Entwicklerteam, das unter dem Namen „PYNR by Harro“ in Rommelshausen sitzt, beschäftigt sich schon länger mit diesem Thema. Ziel ist es, die Daten, welche die Höfliger-Maschinen im Betrieb liefern, systematisch zu analysieren, um mögliche Fehler bereits zu erkennen, bevor etwas kaputtgeht. Denn dann wird es meistens teuer: „Jede Sekunde, die eine Maschine stillsteht, kostet unsere Kunden viel Geld“, weiß Tobias Miunske.

Hunderte Daten werden in vier Prozentwerten zusammengefasst

Der promovierte Ingenieur arbeitet seit dreieinhalb Jahren an KI-Projekten bei Harro Höfliger. Am Anfang steht dabei die Frage, welche Daten man überhaupt braucht, um Fehler frühzeitig zu erkennen. Denn in einer komplexen Produktionsanlage, wie sie das Allmersbacher Unternehmen vor allem für Kunden aus der Pharmabranche entwickelt, sind Hunderte von Sensoren und beweglichen Teilen verbaut. Sie alle können heutzutage in Echtzeit Daten liefern, etwa zu Temperatur, Taktung oder hydraulischem Druck. Aber welche davon sind überhaupt relevant?

Um das herauszufinden, analysieren die Entwickler Defekte, die an ausgelieferten Maschinen aufgetreten sind. Rückblickend versuchen sie, anhand der aufgezeichneten Daten nachzuvollziehen, welche Veränderungen schon lange vor dem Ausfall des Bauteils erkennbar waren. Mit diesen Informationen wird dann die KI gefüttert.

Wenn das System erkennt, dass Wartungsarbeiten nötig sind, wird dem Bediener eine genaue Anleitung mit Fotos und Videos präsentiert.

Wenn das System erkennt, dass Wartungsarbeiten nötig sind, wird dem Bediener eine genaue Anleitung mit Fotos und Videos präsentiert.

Häufig sei zum Beispiel ein steigender Stromverbrauch registriert worden, erzählt Miunske. Wird plötzlich mehr Energie benötigt, um einen Zylinder zu bewegen, deutet das auf eine zunehmende Reibung hin. Um einen Defekt zu vermeiden, könnte es also sinnvoll sein, diese Teile zu ölen. Ein entsprechender Hinweis kann dann auf einem Display dem Bediener der Maschine angezeigt werden. Damit dieser auch wirklich weiß, was zu tun ist, wird ihm auf einem Tablet auch gleich eine Anleitung für die Wartungsarbeiten präsentiert, Schritt für Schritt und unterstützt durch Videos.

„Guided Troubleshooting“, also „angeleitete Fehlerbehebung“ nennt Vertriebsmanager Falk Pfitzer diese Form der Unterstützung. Im nächsten Schritt könnten dann sogar Bauteile entwickelt werden, die sich selbst warten und zum Beispiel automatisch neu einstellen, sobald ein Sensor steigenden Stromverbrauch meldet.

Eine Herausforderung sehen Tobias Miunske und Falk Pfitzer darin, die Datenflut aus den Maschinen für den Nutzer transparent zu machen. Deshalb arbeitet das Team von PYNR an einem System, das Hunderte von Echtzeitdaten aus der Maschine in wenige aussagekräftige Zahlen zusammenfasst. Auf einem Display direkt an der Maschine kann der Bediener dann jeweils prozentuale Werte für Produktionszeit, Taktgeschwindigkeit und Ausschuss ablesen, auch ein Wert für die „Gesamtperformance“ wird angezeigt. Die künstliche Intelligenz soll dann auch Empfehlungen geben, wie diese Werte gesteigert werden können. „Vielleicht ist es ja besser, etwas langsamer zu produzieren und dafür mit weniger Ausschuss“, sagt Miunske. Die Entscheidungen trifft am Ende aber weiterhin der Mensch.

KI-Lösung ist auch auf andere Maschinen übertragbar

Bei Harro Höfliger sieht man im Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Produktion große Chancen, denn der Nutzen sei gewaltig: „Wenn es uns gelingt, damit die Produktivität nur um ein Prozent zu erhöhen, sind das für unsere Kunden Millionen“, macht Tobias Miunske deutlich. Entsprechend groß sei auch das Interesse, obwohl die Pharmabranche als eher konservativ gilt. Um das Vertrauen der Kunden weiter zu steigern, bemüht sich das Unternehmen gerade um eine Validierung durch die amerikanische Pharmabehörde FDA.

Sollte diese ihren Segen geben, könnte aus der KI auch für Harro Höfliger ein lohnendes Geschäft werden. Denn im Gegensatz zu sperrigen Sondermaschinen lassen sich Softwarelösungen schnell und auch in größerer Stückzahl verkaufen. Wenn sich die KI-Entwicklungen bei den Höfliger-Maschinen bewähren, will Falk Pfitzer deshalb nicht ausschließen, dass diese eines Tages auch bei Maschinen anderer Hersteller zum Einsatz kommen. Was mit den Anlagen produziert werde, sei letztlich egal.

Serie In unserer Serie „Schlaue Systeme“ zeigen wir, wo künstliche Intelligenz in unserer Region bereits zum Einsatz kommt. Nutzen Sie KI im Beruf oder auch in der Schule, im Ehrenamt oder im Privatleben? Dann schicken Sie eine E-Mail mit dem Betreff „KI-Serie“ an redaktion@bkz.de.

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Erstellt:
4. November 2023, 15:30 Uhr

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