Ukrainische Familie mit behinderter Tochter findet in Auenwald Zuflucht

Familie Medynski aus dem ukrainischen Winnyzja hat mit ihrer mehrfachbehinderten Tochter Nastya in Auenwald Zuflucht vor dem Krieg gefunden. Besonders Nastya litt unter den Auswirkungen des Kriegs, epileptische Anfälle nahmen zu, sie wurde ängstlicher.

Die ukrainische Familie Medynski ist im Herbst 2023 nach Deutschland geflohen. Die Mehrfachbehinderung von Tochter Nastya (Mitte) bringt beim Ankommen im fremden Land einige Herausforderungen mit sich. Foto: Alexander Becher

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Die ukrainische Familie Medynski ist im Herbst 2023 nach Deutschland geflohen. Die Mehrfachbehinderung von Tochter Nastya (Mitte) bringt beim Ankommen im fremden Land einige Herausforderungen mit sich. Foto: Alexander Becher

Von Uta Rohrmann

Auenwald. Was tut man, wenn man ein Kind hat, das immer wieder, oft nachts, einen schweren epileptischen Anfall bekommt, und wenn man seit Kurzem in einem Land lebt, das einem noch fremd ist, dessen Sprache man noch nicht beherrscht? Das Handy mit der Sprachversion des Google-Übersetzers an den Telefonhörer halten, um den Notarzt herbeizurufen? Oder lieber jemanden dazwischenschalten, der die Landessprache kennt und für einen anrufen kann? Und was ist, wenn dann die beantragte Versichertenkarte noch nicht da ist? Katerine Medynska hat sich diese Fragen in letzter Zeit immer wieder gestellt.

Lange hatten Katerine und Oleg Medynski gezögert, mit ihren drei Kindern Anastasia, Andrej und Artjom ihre ukrainische Heimat zu verlassen. Doch dann kam ihnen der Krieg hautnah. „Sogar im Krankenhaus konnten wir uns nicht mehr sicher fühlen“, erzählt Katerine Medynska. „Unsere Tochter hatte eine Operation in der Mundhöhle. Ich hielt ihr die Hand, während wir Raketenlärm hörten. Kurz danach bekam sie einen epileptischen Anfall.“ Einen Kilometer von Olegs Arbeitsplatz entfernt, im Zentrum der Stadt Winnyzja, rund 250 Kilometer südwestlich von Kiew, schlug eine Rakete ein und zerstörte das Konzerthaus. Die Medynskis lebten am Stadtrand.

Der Fliegeralarm, die Explosionen, all die Schrecken des Kriegs gingen an niemandem spurlos vorbei. Doch Anastasia, in der Koseform Nastya genannt, die eine Mehrfachbehinderung hat, reagierte besonders ängstlich. Mit dem Krieg wurden auch die Anfälle häufiger. Die Entscheidung, nun doch zu fliehen, reifte, die nötigen Dokumente wurden beantragt. Seine Ausreise wollten die Beamten zunächst nicht genehmigen, als sie sahen, dass Anastasia bereits volljährig ist, erzählt Oleg Medynski. Normalerweise dürften nur Väter mit mindestens drei Kindern unter 18 Jahren mit der Familie fliehen. Doch mit einer Behinderung gelten Ausnahmeregelungen. Für Medynskis war das absolut notwendig. Denn die 19-jährige Nastya braucht rund um die Uhr Betreuung und Pflege wie ein Kleinkind, hat aber das Körpergewicht einer Erwachsenen.

Die Flucht ist besonders für Nastya strapaziös

Zwei Tage Autofahrt, 1800 Kilometer und fünf Stunden Wartezeit an der ukrainisch-polnischen Grenze: Die Flucht war besonders für Nastya strapaziös. Der Rollstuhl hatte aus Platzgründen nicht mitgenommen werden können. Während sich die anderen an der frischen Luft die Füße vertreten konnten, war das für sie nicht möglich. Die gewohnte Suppe fehlte, mit der Nahrung für unterwegs bekam die junge Frau Magenprobleme. Das lange Sitzen in gleicher Position war höchst schwierig, denn normalerweise muss Nastya immer wieder anders gelagert werden.

Als Nastya aufgrund einer Plazentaablösung bereits im achten Schwangerschaftsmonat zur Welt kam, habe sie zunächst geschrien wie alle anderen Babys auch, erzählt die Mutter. Das Kind wurde der damals 21-Jährigen auf den Bauch gelegt. Ein oder zwei Stunden später sei ihr mitgeteilt worden, dass der Säugling nicht selbstständig atmen könne und eine Kopfverletzung habe. Mehrere Diagnosen folgten, unter anderem „zerebrale Lähmung“. Wie viel von den Gesundheitsschäden auf unglückliche Umstände oder Krankenhausversagen zurückzuführen sein mag – es ändert nichts daran, dass es ist, wie es ist. Es ändert aber auch nichts daran, dass Nastja geliebt ist und Liebe ausstrahlt. Sie umarmt gerne die Menschen, die ihr nahestehen und findet zärtliche Worte für sie. Die geliebten Großeltern, die in der Ukraine geblieben sind, sieht sie bei Videotelefonaten. Wenn nur Mama und Papa da sind, dann ist alles gut. Sie sieht gerne Zeichentrickfilme und bewegt ihren Oberkörper rhythmisch zu Musik. „Sie ist musikalisch“, sagt ihre Mutter.

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In der Ukraine hat sich die heute 40-jährige gelernte Zooingenieurin noch zur Masseurin ausbilden lassen, um Nastya zu helfen. All die Jahre war Katerine Medynska zu Hause, um ihre Tochter zu pflegen und auch für die gesunden Söhne da zu sein, während ihr Mann als leitender Sanitärtechniker arbeitete. „Manchmal wäre ich schon auch lieber berufstätig gewesen“, räumt die warmherzige Frau ein. „Aber ich koche und backe gerne. Die Küche ist sozusagen mein Büro. Und ich habe mir in den frühen Morgenstunden Freiräume genommen, um in unserem großen Gemüsegarten zu arbeiten. Diese Zeit in der Natur hat meiner Seele gutgetan.“

Ein Rollstuhl als Geschenk

Im Oktober 2023 ist die Familie im Übergangslager in Waiblingen angekommen; seit November lebt sie in Auenwald. Einen Rollstuhl haben sie bald wieder geschenkt bekommen, mit dem Nastya gerne draußen unterwegs ist. Abwechslung bringt auch der zeitweilige Besuch der Treffen beim Projekt „In2life“ des Vereins Zukunftswerkstatt Rückenwind (ZWR), bei dem sich geflüchtete Familien mit behinderten Kindern begegnen können und praktische Unterstützung erfahren (wir berichteten). Nach Angaben von ZWR-Mitarbeiterin Hannah Nothstein werden derzeit etwa 30 betroffene ukrainische Familien betreut.

Die Medynskis sind dankbar für ihr Leben in Auenwald. Der 16-jährige Andrej und der elfjährige Artjom besuchen Vorbereitungsklassen, um Deutsch zu lernen. Artjom dürfe wohl demnächst in eine Klasse mit deutschen Kindern wechseln, freut sich die Mutter. Sie selbst und ihr Mann werden nacheinander einen Sprachkurs besuchen, damit Nastyas Betreuung gewährleistet ist.

Katerine Medynska freut sich auch über die freundlichen deutschen Nachbarn, die sogar ein paar Worte Russisch sprechen, und darüber, dass Thomas, ein Mitarbeiter vom Arbeitskreis Integration, der bei der Schulanmeldung half, aufgrund der Daten den Geburtstag von Artjom bemerkte: „Dass ein Fremder unserem Kind zum Geburtstag gratuliert, das hat mich so berührt!“ Übrigens: Seit die Medynskis hier sind, hatte Nastya noch keinen epileptischen Anfall. Und selbst wenn dies eintreten sollte: Die Mutter weiß jetzt, dass sie den Notruf mit wenigen, einfachen Worten selbst tätigen kann. Und Hilfe bekommt.

Mit dem Krieg wurden auch die Anfälle häufiger. Die Medynskis sind dankbar für ihr Leben in Auenwald.

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Erstellt:
28. Februar 2024, 06:00 Uhr

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