Weihnachten interkulturell entdecken

Heidi und Hanna Nouri Josua aus Oberweissach leiten die Arabische Evangelische Gemeinde in Stuttgart und sprechen sich für mehr Austausch zwischen den Kulturen und Religionen aus. Sie erzählen von christlichen Traditionen im arabischen Raum und vom Dialog in der Weihnachtszeit – auch mit den muslimischen Nachbarn

Das Ehepaar Hanna Nouri und Heidi Josua, hier an ihrem Esszimmertisch in Oberweissach, hat ein Buch über die Parallelen des christlichen Weihnachtsfests und des Islams geschrieben. Foto: Tobias Sellmaier

© Tobias Sellmaier

Das Ehepaar Hanna Nouri und Heidi Josua, hier an ihrem Esszimmertisch in Oberweissach, hat ein Buch über die Parallelen des christlichen Weihnachtsfests und des Islams geschrieben. Foto: Tobias Sellmaier

Von Uta Rohrmann

Weissach im Tal. Auch wenn es hierzulande als das wichtigste Fest erscheint: Weihnachten wurde nicht in Deutschland erfunden. Die Geburt von Jesus Christus fand laut Überlieferungen vor rund 2000 Jahren in Bethlehem statt, er wuchs in Nazareth auf, zwischenzeitlich fand er in Ägypten Zuflucht. Viele der urchristlichen Gemeinden befanden sich auf dem Gebiet der heutigen Türkei, wo auch der historische Nikolaus zu Hause ist. „Weihnachten wurde im Nahen Osten gefeiert, lange bevor es in Europa bekannt war“, sagt das Oberweissacher deutsch-arabische Ehepaar Heidi und Hanna Nouri Josua, das sich mit dem Christentum in arabischen Ländern schon lange beschäftigt. Sie ist Religionspädagogin und Orientalistin, er ein aus Libanon stammender, promovierter evangelischer Theologe.

In der arabischen Region gehe den historischen Kirchen – den Orthodoxen und den Kopten – dem Fest eine 40-tägige Fastenzeit voraus. „Das bedeutet in der Regel, dass erst nach dem Mittagsgebet um 12 Uhr gegessen wird, wobei auf Fleisch- und Milchprodukte verzichtet wird“, erklärt Heidi Josua, die auch Bezirksbeauftragte für kirchlich-diakonische Flüchtlingsarbeit im Raum Backnang und Waiblingen ist. Zum Weihnachtsfest am 6. Januar spielten traditionell Prozessionen eine wichtige Rolle, etwa mit Josef und Maria auf einem Esel. In der Frühzeit des Islams, unter dem zweiten Kalifen, durften diese aber bereits nur eingeschränkt stattfinden: Es sollte still zugehen und es durfte kein Kreuz gezeigt werden.

Die sozialen Kontakte stehenim Orient im Vordergrund

Heute zeigen sich diese Traditionen immer noch im dortigen Christentum: „Religion wird nicht wie oft bei uns als Privatsache angesehen. Die Prozessionen sind auch Ausdruck eines öffentlichen, sichtbaren Bekenntnisses“, erklärt die Oberweissacherin. Neben dem mitternächtlichen Festgottesdienst mit Traditionen wie dem Weihnachtsfeuer stünden für die Menschen des Orients die sozialen Kontakte im Vordergrund. „Zunächst wird dem Familienoberhaupt gratuliert, die Hauptfeier findet beim Vater und Großvater statt. Wer es sich leisten kann, schlachtet ein Schaf. Wichtig ist in jedem Fall Maamoul, mit Datteln und Nüssen gefüllter Griesteig, der in hübsch gestalteten Formen gebacken wird.“

Während die Männer am ersten Feiertag Nachbarn und befreundete Familien besuchen und beglückwünschen, und die Frauen die Gäste bewirten, besuchen sich am folgenden Tag die Frauen gegenseitig, wobei die Töchter daheim bleiben. „So weit, dass die Männer in der Küche stehen, sind wir noch nicht“, schmunzelt Hanna Nouri Josua, der in Beirut Politik und Islamwissenschaft studiert hat.

Schwierig sei dabei für christliche Konvertiten in muslimischen Mehrheitsgesellschaften die soziale Isolation, da sie Feste nicht mehr mit ihrer Familie begehen könnten. Zur Weihnachtszeit in der arabischen Welt gehören überdies: Shoppingmalls, die im Zuge der Globalisierung mit Weihnachtsbäumen geschmückt sind, Weihnachtsgottesdienste, die wegen der Gefahr islamistischer Anschläge nur unter Sicherheitsvorkehrungen stattfinden und ein Präsident, der den Christen in der koptischen Hauptkathedrale in Kairo gratuliert. Letzteres fiel allerdings dieses Jahr wegen des israelisch-palästinensischen Konfliktes weg.

Viele geflüchtete Christen feiern in der Arabisch Evangelischen Gemeinde

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Um Weihnachten zu feiern, treffen sich viele Menschen aus Ländern der arabischen Welt in der Arabischen Evangelischen Gemeinde Stuttgart, die das Ehepaar Josua leitet. Anfangs hätten viele Geflüchtete in beengten Verhältnissen in Heimen gelebt, sodass man in der Gemeinde gefeiert habe. Mit der Flüchtlingswelle 2015/16 seien mehr orientalische Christen nach Deutschland gekommen. Inzwischen habe sich der Schwerpunkt hin zu den traditionellen Familienbesuchen verlagert. Viele Christen würden auch Weihnachtsgottesdienste aus den historischen Kirchen ihrer Heimat im Fernsehen verfolgen, erzählt das schwäbisch-libanesische Ehepaar.

Was sich in der Coronazeit bewährt hat, nutzen Heidi und Hanna Josua auch zu Weihnachten: Sie streamen einen arabischen Gottesdienst. Als Kulturmittler im Evangelischen Salam-Center, einem unabhängigen Verein innerhalb der Landeskirche bringen die beiden Weihnachten zudem interkulturell und interreligiös ins Gespräch. In ihrem Buch „Weihnachten und Muslime. Impulse zum interreligiösen Dialog“ stellen der blinde Pfarrer im Ruhestand und die Religionspädagogin die Erzählungen von Bibel und Koran über die Geburt von Jesus beziehungsweise Isa (in der arabischen Bibel Jasu’a) einander gegenüber.

Der Dialog zeigt Parallelen und Unterschiede

Es zeigen sich Parallelen, wie die Auffassung von der Jungfrauengeburt und der Sündlosigkeit, aber auch bedeutende Unterschiede. „Man wird weder sich noch dem anderen gerecht, wenn man diese nicht wahrnimmt. Dann bleiben Begegnungen an der Oberfläche“, sagt der Theologe. Gleiche Begriffe seien inhaltlich anders gefüllt, vor allem aber sei die Botschaft, der theologische Kern, konträr. Im Koran zeige Allah seine Allmacht, indem er Isa, einen vollkommenen Propheten hervorbringe – ohne Zutun eines Mannes als Vater. „Nach biblischem Verständnis zeigt sich Gottes Größe gerade darin, dass er sich ganz klein für uns macht und in unsere Welt kommt. Gott ist so groß, dass die Erniedrigung seine Allmacht nicht antastet“, so Josua.

Auf jeden Fall sei es eine schöne zwischenmenschliche Geste, wenn sich Christen und Muslime zu ihren jeweiligen Festen gratulieren, findet der schwäbische Araber. Das Salam-Center hat dafür kürzlich zweisprachige Weihnachtskarten publiziert, die man an orientalische Nachbarn weitergeben kann. Geschrieben sind sie deutsch und jeweils arabisch, persisch oder türkisch.

Information Hanna Nouri Josua und Heidi Josua: Weihnachten und Muslime. Impulse zum interreligiösen Dialog. Leipzig 2022. 18 Euro. Weihnachtskarten für Menschen aus dem Nahen Osten (bilingual), 4 Euro je Set mit 5 Karten. www.salam-center.de.

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Erstellt:
23. Dezember 2023, 06:00 Uhr

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