Weissach im Tal: Der Bürgerbus bringt die Leute zusammen

Seit September 2019 fährt der Bürgerbus durch Weissach im Tal, bringt Bürgerinnen und Bürger mit eingeschränkter Mobilität zu Arztterminen, zur Physiotherapie oder auch zum Supermarkt. Das Angebot ist ein voller Erfolg. Aber wie läuft so ein Bürgerbustermin eigentlich ab?

Fahrer Johann Raß holt die Freundinnen Ursula Dierolf (links) und Margaretha Kleebaur von ihrem Physiotherapietermin ab. Foto: privat

Fahrer Johann Raß holt die Freundinnen Ursula Dierolf (links) und Margaretha Kleebaur von ihrem Physiotherapietermin ab. Foto: privat

Von Melanie Maier

Weissach im Tal. Der Bürgerbustag beginnt für Johann Raß stets im Weissacher Rathaus. Denn dort ist der Schlüssel für die Garage auf dem Platz des ehemaligen HL-Markts deponiert, in dem der siebensitzige Elektrobus untergebracht ist. Um wie viel Uhr der 68-jährige Oberweissacher losfährt, das variiert allerdings. Es kommt darauf an, wann der erste Fahrgast seinen Termin vereinbart hat. Allzu früh ist es aber nie: Der Bürgerbus fährt montags bis freitags jeweils von 9 bis 17 Uhr (siehe Infotext).

Zehn Fahrten wird Johann Raß an dem Tag erledigen – das entspricht dem Durchschnitt, sagt Susanne Rehm. Die Rathausmitarbeiterin kümmert sich seit dem Start des Bürgerbusses 2019 um die Terminvergabe und die Einteilung der ehrenamtlichen Fahrerinnen und Fahrer. „Um die 30 sind es mittlerweile“, berichtet Susanne Rehm. Wie viele Menschen das Angebot in Anspruch nehmen, das kann sie nicht genau sagen. „Wir haben viel Stammkundschaft. Leute, die zum Beispiel regelmäßig zweimal pro Woche zur Physio müssen“, weiß sie aber. Und dass der Bürgerbus ein voller Erfolg ist. Zirka 650 Fahrten wurden 2022 umgesetzt, ein Jahr später waren es 1070. An einigen Tagen habe sie so viele Anfragen, dass sie Leute abweisen müsse. Denn mehr als fünf bis sieben Fahrgäste schaffen die Fahrer nicht. Das liege in erster Linie an den Fahrstrecken und an den Wartezeiten, erklärt Susanne Rehm. Wenn jemand zum Beispiel ins Krankenhaus nach Winnenden müsse, gehe allein für die Fahrt viel Zeit verloren.

Ein Mittel zu mehr Teilhabe

So weit hat es Johann Raß an diesem Tag jedoch nicht. Seine nächste Fahrgästin, Margaretha Kleebaur, hat einen Termin in einer Physiotherapeutenpraxis im Haus der Gesundheit im Rombold-Areal. Johann Raß holt sie von ihrem Haus in Unterweissach ab. Ohne das Navigationsgerät des Busses einzuschalten, fährt er dorthin. „Das Navi – da bin ich nicht scharf drauf“, sagt er. Wenn er am Tag vor seinem Einsatz den Tourenplan bekommt, schaut er sich die Strecken auf Google Maps an. Das reicht ihm. Bei vielen Fahrgästen wisse er mittlerweile auch, wo sie wohnen, fügt er hinzu.

Johann Raß parkt am Weg zu Ursula Dierolfs Haus. Er steigt aus dem Bus, geht der 82-Jährigen entgegen, hilft ihr beim Einsteigen. Auf dem Weg zum Arzt sei sie zu Fuß mal bei Blitzeis hingefallen, erzählt die Fahrgästin. „Deshalb bin ich froh, dass es den Bürgerbus gibt.“ Im vergangenen Jahr sei sie zum ersten Mal mitgefahren.

Raß erkundigt sich nach ihrer Familie. Ihren Sohn habe er erst kürzlich gesehen, sagt er. Der Bürgerbus, er dient nicht nur als ein Mittel, um Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, zu mehr Teilhabe zu verhelfen. Er wirkt auch als eine Art sozialer Kitt. Zwischen den Fahrern und den Fahrgästen herrsche ein sehr herzliches Miteinander, sagen sowohl Johann Raß als auch Rüdiger Frey vom Ortsseniorenrat. „Viele ältere Leute freuen sich darüber, mal mit jemandem sprechen zu können“, erklärt Rüdiger Frey. „Und für die Fahrer ist es nett, die neuesten Geschichten aus Bruch oder Cottenweiler zu erfahren.“

Die Gemeinde hat bei dem Projekt unterstützt

Weitere Themen

Zusammen mit seinem Mitstreiter Klaus Werner hat er nach einem Beschluss des Ortsseniorenrats vor 2019 immer wieder für einen Bürgerbus geworben. Als Vorbild diente der Bürgerbus Alfdorf/Welzheim. „Da durften wir einfach mal vorbeikommen und fragen, fragen, fragen“, erinnert sich Rüdiger Frey. Der ehemalige Weissacher Bürgermeister Ian Schölzel sei sehr schnell an Bord gewesen, berichtet er. „Wenn die Gemeinde nicht bereit gewesen wäre, den Bus anzuschaffen, wäre das nicht zustande gekommen“, betont Rüdiger Frey. Sehr froh ist er auch über die Mitarbeit von Wolfgang Merz, der sich um die Technik kümmert.

Für die Beschaffung des Elektrofahrzeugs hat Weissach im Tal eine Förderung des Landes Baden-Württemberg erhalten. Das Modell blickt auf eine lange Tradition zurück. 1986 wurde der erste Bus im Südwesten in Schlier (Landkreis Ravensburg) eingerichtet. Inzwischen sind es rund 65, so die jüngste Erhebung aus dem April 2022.

Bevor er sich von ihr verabschiedet, drückt Johann Raß Ursula Dierolf noch einen Zettel mit seiner Handynummer in die Hand. Für alle Fälle. „Oft rufen die Praxismitarbeiterinnen an und sagen uns Bescheid, wenn der Termin vorbei ist“, sagt er. Wenn der Bürgerbus noch unterwegs ist, müssen die Fahrgäste manchmal trotzdem warten. Dafür ist das Angebot kostenfrei. Viele bedanken sich dennoch mit einem Schein in das Kässle vor der Gangschaltung; einige überweisen auch direkt etwas an die Gemeinde, weiß Johann Raß.

Die Wartezeit zwischen den Fahrten nutzt Johann Raß für sich

Er fährt los, um die nächste Fahrgästin abzuholen. Margaretha Kleebaur (82) wohnt ebenfalls in Unterweissach und auch sie muss zur Physiotherapie. „Sie können uns später auch zusammen abholen, Frau Kleebaur und ich sind befreundet“, schlägt sie im Bus vor. 40 Minuten dauert ihr Termin, in der Zwischenzeit muss Johann Raß aber noch eine weitere Fahrgästin von Cottenweiler zum Einkaufen nach Unterweissach fahren – ein straffer Zeitplan. Das ist nicht immer so. An manchen Tagen muss Johann Raß zwischen den Terminen länger warten. Dann spaziert er durch die Gegend oder liest Nachrichten auf dem Handy aus seiner alten Heimat, der Oberpfalz. Seit mehr als zwei Jahren ist er nun Fahrer. Ein Bekannter habe ihn gefragt, ob er nicht Lust habe mitzumachen, berichtet er. Seit er in Rente ist, hat er für so etwas Zeit. Und die Fahrdienste sind ja nicht zu häufig, etwa einmal im Monat sind die Ehrenamtlichen an der Reihe. „Außerdem nimmt man eigentlich immer ein positives Gefühl mit“, sagt er.

Von Cottenweiler geht es zurück zum Rombold-Areal. Margaretha Kleebaur und Ursula Dierolf sind bereit für die Heimfahrt. Nachdem Johann Raß die zwei Frauen zu Hause abgeliefert hat, fährt er den Bürgerbus zurück in die Garage und schließt ihn an die Ladebox an der Wand an. Jede Nacht wird das Fahrzeug geladen. Wenn es kalt ist, lässt Johann Raß in den Wartezeiten dennoch die Heizung aus. „Lieber gefroren als wie gestanden“, sagt er und schließt die Garagentür ab. Anschließend geht er zum Rathaus, wirft den Autoschlüssel in den Briefkasten. Damit ist sein Dienst beendet.

Auch in Murrhardt, Aspach und Allmersbach fährt ein Bürgerbus – in Althütte ist das Angebot eingestellt worden

Weissach im Tal Fahrten können bis 12 Uhr am Vortag bei Susanne Rehm unter der 0163/6353121 angemeldet werden. Gesundheitliche Belange werden bevorzugt behandelt.

Murrhardt In der Walterichstadt ist seit Juli 2020 ein Bürgermobil unterwegs. Es soll vor allem älteren Menschen zugutekommen, die kein eigenes Auto mehr haben. Die Stadt Murrhardt kooperiert dazu mit dem E-Carsharing-Anbieter Deer. Die Autos sind am Bahnhof abgestellt, die insgesamt etwa zehn ehrenamtlichen Fahrerinnen und Fahrer holen die Fahrgäste damit von zu Hause ab. Bedient werden die Stadt Murrhardt sowie alle Teilorte. Das Angebot ist kostenfrei, Spenden sind aber willkommen. Gefahren wird montags und donnerstags jeweils von 8.30 bis 12.30 Uhr. Bis Ende 2023 fanden auch am Dienstagnachmittag Fahrten statt. Diese mussten 2024 jedoch aus Kostengründen eingestellt werden. „Der Rahmenvertrag hat sich geändert“, so Rathausmitarbeiter Thomas Zeeb. Die verbleibenden Vormittage seien dafür sehr gut ausgelastet. Infos und Buchung unter Telefon 07192/935815.

Aspach Seit Oktober 2022 befördert in Aspach ein Bürgerbus in ihrer Mobilität eingeschränkte Personen zu Terminen in Aspach, Backnang und Oberstenfeld. „Wir sind fast immer ausgebucht“, sagt Karin Bieber, die sich mit drei weiteren Personen ehrenamtlich um die Terminkoordination kümmert. Mehr als 20 Fahrerinnen und Fahrer machen mit. Das Angebot ist kostenlos, Spenden sind gerne gesehen. Der Bus wird vom DRK zur Verfügung gestellt, die Gemeinde Aspach kommt für die Unkosten auf (monatlich rund 150 Euro), der Diakonieverein kümmert sich um die Organisation. Gefahren wird von Montag bis Freitag von 9 bis
17 Uhr. Fahrten anmelden kann man bis 12 Uhr am Vortag unter der Nummer 0151/50829012.

Allmersbach im Tal Das Bürgerbussle der Gemeinde Allmersbach fährt seit Januar 2022 dienstags, mittwochs und donnerstags von 9 bis 12 Uhr und von 13 bis 17 Uhr sowie montags von 13 bis 17 Uhr zu Zielen im Weissacher Tal, nach Backnang und ins Krankenhaus nach Winnenden. Die Abfahrt ist an verschiedenen zentralen Treffpunkten, die Rückfahrt geht
direkt nach Hause. Die Fahrten sind kostenfrei, Spenden sind aber willkommen. Anmeldung sind bis 11.30 Uhr am Vortag unter 07191/353012 möglich. Mehr Infos unter www.allmersbach.de/de/buergerbussle.

Althütte Im Januar 2020 ging der Bürgerbus in Althütte an den Start, um vor allem Seniorinnen und Senioren Einkaufsfahrten zu ermöglichen. Nachdem im März 2021 beschlossen wurde, keine Fahrten zu Arztterminen mehr anzubieten, wurde das Angebot Ende 2021 aufgrund der geringen Nachfrage eingestellt.

Zum Artikel

Erstellt:
14. Februar 2024, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Lesen Sie jetzt!

Stadt & Kreis

Tour durch Naturgärten in Weissach und Waldrems

Zum Saisonstart von „Backnang blüht auf“ geht es auf einer Führung durch zwei naturnah gestaltete Gärten. Sie zeigen, dass es viele Möglichkeiten gibt, die Bedingungen für Flora und Fauna zu verbessern.

Stadt & Kreis

Im Herbst soll der Auenpark in Weissach fertig sein

Der Gemeinderat von Weissach im Tal hat seine Zustimmung zum zweiten Bauabschnitt des Parks gegeben. Dort soll vor allem der Däfernbach renaturiert und erlebbar werden. Die Gesamtkosten für das Projekt liegen derzeit bei zirka 290.000 Euro.

Die Mütter Marina (links) und Andrea Bohn feiern mit ihren Söhnen Henry, Hugo und Hannes den Muttertag und Vatertag jeweils als Familientag. Foto: Alexander Becher
Top

Stadt & Kreis

Vatertag und Muttertag im Doppelpack

In diesem Jahr liegen die beiden Feste, an denen traditionell jedes Elternteil für sich gefeiert wird, nur drei Tage auseinander. Zwei Regenbogenfamilien, in denen zwei Mütter beziehungsweise zwei Väter die Eltern sind, geben Einblicke, wie sie diese Feiertage begehen.