KI-Serie: Wenn der Dackel Cocktails trinkt

Schlaue Systeme (16) Zum Abschluss unserer Serie spricht Michael Möhring, Informatikprofessor an der Hochschule Reutlingen, über die Chancen und Risiken von künstlicher Intelligenz und darüber, warum Gedichte von ChatGPT noch nicht perfekt sind.

Das passende Bild zur Überschrift wurde mit künstlicher Intelligenz erstellt. Die Anweisung an die Software lautete: Erstelle ein Bild von einem Dackel, der an einem Strand mit Palmen mit einem Strohhalm aus einem Cocktailglas einen bunten Cocktail trinkt. Bild wurde generiert mit Adobe Firefly

Das passende Bild zur Überschrift wurde mit künstlicher Intelligenz erstellt. Die Anweisung an die Software lautete: Erstelle ein Bild von einem Dackel, der an einem Strand mit Palmen mit einem Strohhalm aus einem Cocktailglas einen bunten Cocktail trinkt. Bild wurde generiert mit Adobe Firefly

Seit ChatGPT auch in Deutschland verfügbar ist, ist künstliche Intelligenz in aller Munde. Wofür nutzen Sie persönlich im Alltag KI-Anwendungen?

Ich nutze sie vielfältig, etwa für meine Heimautomatisierung. Meine Wohnung ist mit vielen Sensoren ausgestattet. Damit prognostiziere ich zum Beispiel Temperaturverläufe. Auch beim Programmieren finde ich ein KI-Tool, das einem Vorschläge macht, gelegentlich spannend zum Ausprobieren. Diese muss man aber stets prüfen und noch anpassen. Von ChatGPT habe ich einmal sogar Weihnachtsgedichte erstellen lassen. Das war recht lustig, weil darin ein Dackel alkoholische Cocktails trank. Daran sieht man, dass ChatGPT nicht versteht, was Alkohol ist und was ein Dackel, sondern lediglich erkennt, dass beide Wörter in einem Gedicht gut zueinander passen.

Die meisten großen Firmen beschäftigen sich bereits intensiv mit künstlicher Intelligenz, kleinere Unternehmen können mit dem Thema oft noch nicht so viel anfangen. Für wen ist es aus Ihrer Sicht sinnvoll, sich mit dem Einsatz von KI zu beschäftigen?

Grundsätzlich würde ich sagen, es ist für alle Unternehmen sinnvoll. Aber es gibt natürlich Branchen und Betriebsgrößen, für die es besonders interessant ist. Vor allem Marketing und Vertrieb sind Bereiche, in denen KI gut eingesetzt werden kann. Da gibt es bereits fertige Lösungen, auch für kleinere Unternehmen. Selbst betriebswirtschaftliche Standardsoftware enthält heute kleinere KI-Elemente und erstellt zum Beispiel Prognosen, wie viele Angebote eingehen werden. Die großen Unternehmen bauen ihre Lösungen natürlich selber. Da sind dann auch spezielle Anwendungen möglich, etwa in der Fertigungssteuerung. Das kann sich ein kleines Unternehmen nicht leisten.

Michael Möhring ist Informatikprofessor an der Hochschule Reutlingen.Foto: Jan Potente

© JAN POTENTE

Michael Möhring ist Informatikprofessor an der Hochschule Reutlingen.Foto: Jan Potente

Mit dem KI-Lab Region Stuttgart helfen Sie Firmen, die künstliche Intelligenz nutzen wollen. Wie sieht diese Hilfe aus?

Die Unterstützung ist vielfältig. Zu uns kommen einerseits Unternehmen, die noch gar keine Ahnung von KI haben und sagen: „Wir wollen den Zug nicht verpassen. Was könnten wir mit KI machen? Wenn wir dann herausgefunden haben, wo der Einsatz von KI sinnvoll sein könnte, entwickeln wir zusammen mit dem Unternehmen Prototypen, um die Anwendung in der Praxis zu testen. Manche Unternehmen haben auch schon KI-Lösungen, die aber nicht richtig funktionieren. Dann beraten wir sie dabei, wie man es besser machen könnte.

Der Fachkräftemangel ist heute bereits in vielen Branchen spürbar und wird sich in den kommenden Jahren noch verschärfen. Kann KI hier Teil der Lösung sein?

Ja, die Frage ist allerdings, wie groß dieser Teil sein wird. Schon durch die Digitalisierung der Prozesse werden einfachere Tätigkeiten wegfallen. KI kann immer dann unterstützen, wenn Entscheidungen getroffen werden müssen, also zum Beispiel: Bekommt ein Kunde das Produkt auf Rechnung? Oder: Wie steuere ich meine Produktionslinie? Oder: Wann muss ich die Maschine warten? Dadurch wird der Fachkräftemangel bei bestimmten Spezialisten sicher ein Stück weit aufgefangen. Aber KI ist nicht die Allzweckwaffe, die dieses Problem alleine lösen wird.

Welche Aufgaben werden nach Ihrer Einschätzung in Zukunft die schlauen Systeme übernehmen und wo sind ihre Grenzen?

KI-Systeme funktionieren in der Regel so, dass sie in Daten aus der Vergangenheit Muster erkennen und diese auf die Zukunft übertragen. Das bedeutet aber auch: Wenn die Daten aus der Vergangenheit nicht mehr gelten, weil sich zum Beispiel ein Trend ändert, kann KI nicht helfen. Angenommen, die KI hat gelernt, dass Kunden, die eine gelbe Mütze gekauft haben, auch einen grünen Schal kaufen, dann wird sie immer grüne Schals empfehlen, selbst wenn mittlerweile rote Schals in Mode gekommen sind. Das heißt: Überall dort, wo man gut aus der Vergangenheit lernen kann und ich viele Daten habe, funktioniert KI gut und wird in Zukunft auch mehr Aufgaben übernehmen. Aber da, wo ich neue Ideen und Kreativität brauche, kann KI nicht helfen.

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Künstliche Intelligenz macht vielen Leuten auch Angst. Auch wenn die Systeme vielleicht nicht die Weltherrschaft übernehmen, haben manche doch das Gefühl, der Willkür undurchschaubarer Algorithmen ausgeliefert zu sein. Ist diese Sorge berechtigt?

Diese Angst spüre ich auch, aber sie ist meistens unbegründet. Würde man KI etwa im Bereich der kritischen Infrastruktur selbstständig Entscheidungen treffen lassen, hätten wir sicher ein Risiko. Aber in solchen Fällen ist ja immer noch ein Mensch beteiligt und die EU hat für solche Anwendungen inzwischen auch ein Regularium erlassen.

Aber auch alltägliche Entscheidungen, etwa darüber, ob ich einen Kredit bekomme oder nicht, würde ich ungern einem Computer überlassen. Vor allem, wenn ich nicht nachvollziehen kann, warum die KI so und nicht anders entschieden hat.

Das ist richtig und dazu gab es in Deutschland auch ein bekanntes Beispiel. Da wurde einem sehr gut situierten Kunden der Handyvertrag abgelehnt, weil er in einer Siedlung mit vielen Sozialwohnungen lebt. Die KI hatte hier die Erfahrung, dass es in dieser Gegend viele Zahlungsfälle gibt, auf diesen Kunden übertragen. Ehrlicherweise müssen wir allerdings auch sagen: Wenn ein Mensch eine Entscheidung trifft, für die es keine ganz klaren Kriterien gibt, spielt auch oft das Bauchgefühl eine gewisse Rolle. Ungerechtigkeit gibt es deshalb leider sowohl bei Menschen als auch bei KI-Systemen.

Mit KI lassen sich heute bereits Bilder erzeugen, die von echten Fotos kaum noch zu unterscheiden sind. Bekannt wurde etwa das Bild vom Papst in der Daunenjacke. Sind KI-Anwendungen damit nicht das ideale Werkzeug für Extremisten und totalitäre Regime, um durch Fake News die öffentliche Meinung in ihrem Sinne zu beeinflussen?

Ich bin kein Experte im Bereich Extremismus, aber das ist tatsächlich ein Problem. Es wird gerade an dem Thema digitales Wasserzeichen geforscht, damit man erkennen kann, ob ein Bild gefälscht ist. Aber das ist nicht einfach und bei Texten noch schwieriger. Das öffnet Betrügern und Menschen mit bösen Absichten Tür und Tor. Die Gesellschaft muss darauf reagieren, aber einen 100-prozentigen Schutz wird es leider nicht geben, genauso wenig wie sich auch andere Betrugsfälle komplett verhindern lassen. Leute, die das Vertrauen anderer ausnutzen wollen, schaffen das mit oder ohne Technologie.

Kann der Gesetzgeber hier mit den Kriminellen Schritt halten?

Der Gesetzgeber hinkt bei solchen technologischen Themen immer hinterher, was auch ganz normal ist. Wobei die EU mit ihrem „AI-Act“ schon weiter ist als viele andere Länder. Ich glaube, das ist ein guter Anfang, aber wir müssen auch aufpassen, dass nicht zu viel reguliert wird.

Bei aller Begeisterung über die neuen Möglichkeiten der Technik hat KI auch noch Schwächen. Wer ChatGPT regelmäßig nutzt, stellt zum Beispiel fest, dass der Chatbot auch immer wieder falsche Antworten gibt. Lassen sich diese Mängel noch ausmerzen oder wird KI immer fehlbar bleiben?

KI wird immer fehlbar bleiben, das ist sicher. ChatGPT versteht keine Zusammenhänge, sondern weiß lediglich, welche Wörter mit welcher Wahrscheinlichkeit aufeinander folgen. Es gibt heute Technologien, um das zu verbessern. Wir sprechen von semantischen Technologien. Das ist genauer, aber sehr aufwendig und eine 100-prozentige Zuverlässigkeit werden wir auch damit nie erreichen. Wenn ich etwa zu einer KI-Anwendung sage: „Ich habe das Wochenende in vollen Zügen genossen“, kann sie nicht wissen, ob ich ein tolles Wochenende hatte oder ob die Bahn wieder voll war.

Das Interview führte Kornelius Fritz.

Michael Möhring

Professur Michael Möhring ist Professor für Data Science an der Fakultät für Informatik der Hochschule Reutlingen. Zuvor war der promovierte Wirtschaftsinformatiker bereits Professor an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Amberg-Weiden.

KI-Lab Neben seiner Lehrtätigkeit engagiert sich der 35-Jährige im KI-Lab Region Stuttgart mit Sitz in Böblingen. Das KI-Lab bietet Informationsveranstaltungen und individuelle Beratungen für kleine und mittelständische Unternehmen an, die künstliche Intelligenz einsetzen wollen.

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Erstellt:
27. Januar 2024, 06:00 Uhr

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